„Small Modular Reactors“ sind die Seifenblasen der Atomkraft: bunt schillernde Projektionsflächen, dahinter ziemlich viel Luft. Die ernstzunehmendste der Blasen ist jetzt geplatzt.

 

Sie waren weiter als alle anderen, hatten ausgearbeitete Pläne ihres Reaktors, technisch nicht innovativ, aber mit Zulassung der US-Atomaufsicht – zumindest für eine 50-Megawatt-Variante. Es gab Investor*innen, ein konkretes Projekt, und einen zahlungskräftigen Projektpartner: UAMPS, ein Zusammenschluss kommunaler Energieversorger im Nordwesten der USA. Sechs sogenannte „small modular reactors“ (SMR) mit jeweils 77 Megawatt wollten sie dort bauen. Sie sollten deutlich günstiger als ein großes AKW sein – das war das Versprechen des SMR-Entwicklers Nuscale. Schon Mitte 2025 sollte es losgehen.

Doch das „Carbon Free Power Project“ (CFPP) ist gescheitert, die Illusion geplatzt. Anfang 2023 hatte Nuscale die Kostenschätzung von ca. 5,3 auf 9,3 Milliarden US-Dollar nach oben korrigiert. Statt der versprochenen 58 hätte eine Megawattstunde Strom aus den Mini-Reaktoren nun 89 Dollar gekostet – trotz staatlicher Fördergelder und Steuervergünstigungen in Höhe von insgesamt etwa vier Milliarden Dollar.1 Zum Vergleich: Eine Megawattstunde Onshore-Windstrom kostete in den USA 2021 durchschnittlich 32 Dollar.2 Daraufhin ziehen Nuscale und UAMPS im November die Reißleine.

Pleiten, Pech und Pannen

Das Aus für das Vorzeigeprojekt ist kein Einzelfall. Viele SMR-Ideen werden seit Jahrzehnten erfolglos vorangetrieben. Die unübersichtliche Vielzahl weltweiter Projekte reicht von „Power-Point-Reaktoren“, von denen nur eine Skizze existiert, bis zu einzelnen Prototypen, von der versprochenen Serienfertigung allerdings meilenweit entfernt:

  • Die Akademik Lomonossow, Prototyp eines schwimmenden AKW, war mindestens vier Mal so teuer wie geplant: Aus veranschlagten sechs wurden mindestens 37 Milliarden Rubel. Das entspricht knapp 25.000 US-Dollar pro Kilowatt installierter Leistung – fast doppelt so viel wie bei einem modernen Großreaktor.3
  • Der HTR-PM-Demonstrationsreaktor, ein Kugelhaufenreaktor nach dem Vorbild des havarierten AVR Jülich, ging 2021 in China ans Netz, lief im Jahr 2022 aber lediglich 27 von möglichen 8.760 Betriebsstunden.4 Die Baukosten waren dreimal so hoch wie geplant (6.000 US-Dollar pro Kilowatt installierter Leistung)5. Pläne zur Errichtung von bis zu 18 weiteren Reaktoren desselben Typs am gleichen Standort hat China aufgegeben.6
  • Der CAREM-Reaktor in Argentinien ist seit 50 Jahren in Planung. Baubeginn war schließlich 2014 – fertig ist er bis heute nicht. 2021 lag die Kostenschätzung für das 25-Megawatt-Reaktörchen, das auf ein Sechzigstel der Leistung eines großen AKW kommt, bei 750 Millionen US-Dollar.7
  • Im Jahr 2021 begann China mit dem Bau eines 125-Megawatt-Druckwasserreaktors (APC 100 oder Linglong One). Die Baukosten pro Megawatt werden mindestens doppelt so hoch sein wie bei großen Reaktoren.8
  • Ebenfalls 2021 begann Russland mit dem Bau des bleigekühlten 300-Megawatt-Demonstrationsreaktors BREST, ein Schneller Brüter. Die Kostenschätzung hat sich bereits auf 1,3 Milliarden US-Dollar mehr als verdoppelt.9
  • Der in deutschen Medien häufig erwähnte Dual Fluid Reactor taucht im aktuellen World Nuclear Industry Status Report10 nur als Fußnote auf. Das Startup aus einem Berliner Hinterhof machte im September Schlagzeilen mit der Ankündigung, ihren Prototypen in Ruanda bauen zu wollen – ein Land mit Erfahrung in Atomtechnik konnte es für dieses Projekt offenbar nicht gewinnen.11

Auch bei Nuscale scheint es keine neuen Großaufträge zu geben. Im Gegenteil: Angedachte Projekte in anderen Ländern stehen nun ebenfalls auf der Kippe. Das Unternehmen ist dabei, ein Drittel der Belegschaft zu entlassen. Zudem hat es eine Sammelklage enttäuschter Aktionäre am Hals. Diese werfen Nuscale vor, ihr Geld mit irreführenden Angaben eingeworben und verbrannt zu haben.12

Angesichts der bisherigen Bilanz halten sich private Geldgeber*innen bei SMR-Projekten auffallend zurück. Großinvestor*innen wie Bill Gates, Mitgründer von Terrapower, sind die Ausnahme. Kaum ein Unternehmen hat Interesse daran, Geld in derart risikobehaftete und in vielerlei Hinsicht vage Projekte zu stecken.

SMR-Förderung durch die EU

Dem weltweiten Hype um SMR tut die Realität offenbar keinen Abbruch. Kaum ein Land, das weiter auf Atomkraft setzt, kündigt nicht auch ein SMR-Projekt an. Denn SMR, die es real noch nicht gibt, sind eine ideale Projektionsfläche, um den Glauben an Atomkraft als angeblich saubere, billige, harmlose und innovative Technologie am Leben zu halten: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Die Strategie scheint aufzugehen, jedenfalls in der EU: Energiekommissarin Kadri Simson kündigt Anfang November eine SMR-Industrieallianz an, die Marktanreize schaffen, Projekte finanzieren und Forschung und Entwicklung fördern soll.13 Das EU-Parlament schlägt in dieselbe Kerbe und fordert im Dezember eine umfassende Strategie für den Einsatz von SMR.14 Die EU soll dafür Geld zur Verfügung stellen: Auch deutsche Steuergelder könnten dann in die SMR-Entwicklung fließen.15

Phoenix aus der Asche?

Auch Geopolitik spielt eine Rolle. Sowohl Russland als auch die USA hoffen, zahlreiche SMR in die ganze Welt verkaufen und die Empfängerländer damit an sich binden zu können. Der US-Klimabeauftragte John Kerry verkündete 2021 bei der COP27 das „Project Phoenix“. Man wolle Kohlekraftwerke in (Ost‑)Europa und Asien durch SMR amerikanischer Bauart ersetzen. Projektvorschläge aus der Tschechischen Republik, der Slowakei und Polen sind bereits ausgewählt und erhalten Unterstützung bei Machbarkeitsstudien. Den Anfang machen soll jedoch Rumänien.16 In einem Videobriefing für Journalist*innen am 27. September 2023 schwärmt der stellvertretende US-Außenminister Geoffrey Pyatt für den dort geplanten ersten SMR, der 2029 ans Netz gehen soll: „Bisher hat noch niemand eines dieser Dinger in Betrieb genommen.“ Gut möglich allerdings, dass das noch eine ganze Weile so bleibt: Projektpartner des staatlichen rumänischen Energieversorgers ist ausgerechnet Nuscale.



https://www.ausgestrahlt.de/blog/2024/02/09/die-illusionsmaschine/